Ringvorlesung 40 Jahre Freie Schule Frankfurt

hiermit möchten wir auf eine interessante Veranstaltungsreihe hinweisen, die wir unterstützen:
eine Ringvorlesung zu 40 Jahre Freie Schule Frankfurt, die Fragen nach Erziehung zur Mündigkeit, antiautoritärer Erziehung, der Möglichkeit von Inklusion und freien Schulen nachgeht.

Ringvorlesung 40 Jahre FSF
Alle Veranstaltungen finden im Raum IG 311, I.G.Farben-Campus der Universität Frankfurt, Grüneburgplatz 1, statt und werden unterstützt vom AStA der Universität Frankfurt und der Initiative Studierender am I.G.Farben-Campus. Eintrittspreis nach eigenem Ermessen.

Freie Schule Frankfurt, Vogelweidstraße 3, 60596 Frankfurt, http://www.freie-schule-frankfurt.de

https://www.facebook.com/events/1534775476765203/

Ringvorlesung-Plakat-Erg

Fr., 21.11.14, 19 Uhr: „Seid realistisch, verlangt das Unmögliche!“ – Von der sozialistischen Erziehung zum buddhistischen Om. Kinderläden zwischen Gegen- und Elitekulturen. Vortrag von Dr. Meike Sophia Baader (Professorin am Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim).
Dass die Erziehung in den Fokus der 68er-Bewegung geriet, hängt unmittelbar mit dem Nachdenken über die Gründe für den Nationalsozialismus und den Debatten um Autorität und Antiautorität zusammen. Antiautorität war in keinem anderen Land ein Schlagwort der 68er-Bewegung, in Deutschland hingegen war es zentral und geht unter anderem auf die Rezeption der Kritischen Theorie zurück. Die gemeinsame Frage, die am Anfang der pädagogischen Aufbrüche stand, war: Wie lassen sich Erziehungsverhältnisse so gestalten, dass die nachfolgenden Generationen nicht mehr anfällig für ein System wie den Nationalsozialismus sein würden, sondern den Mut, die Kraft und die Ich-Stärke zum Widerstand und Protest aufbringen würden? Theodor W. Adorno unterstrich in seinem Rundfunkbeitrag „Erziehung nach Auschwitz“ dabei vor allem die Bedeutung der Erziehung in der frühen Kindheit für diese Frage.
Da der Vorschulbereich in den 60er Jahren in Deutschland noch wenig ausgebaut war, wurden zahlreiche Kinderläden gegründet, zuerst in den Großstädten Berlin, Frankfurt und Stuttgart. Die meisten Initiativen waren selbst organisiert und wurden eher von akademischen Eltern getragen. Eine entscheidende Rolle hat aber auch die Frauenbewegung gespielt, insofern Frauen es zurückwiesen, weiter alleine für die Erziehung ihrer Kinder im Vorschulalter verantwortlich zu sein. Bemerkenswert war zudem das große Interesse für pädagogische Fragen und Konzepte und die Begleitung durch die Bildungsforschung, die nicht wenige Projekte auszeichnete. Zudem geriet verstärkt ins Bewusstsein, dass die Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, ungleich sind. Dies spiegelte sich in etwa in der erhöhten Aufmerksamkeit für die Lebensbedingungen von Arbeiterkindern. Chancengleichheit und -gerechtigkeit bildeten eine pädagogische Grundorientierung für fast alle Initiativen.
Diese Initiativen speisten sich, wie die Protestbewegung insgesamt, aus sehr unterschiedlichen Quellen. Die dahinter liegenden Motive, Themen und Handlungsfelder werde ich versuchen in dem Vortrag nachzuzeichnen und im Rückblick zudem nach den Stärken und Schwächen, sowie nach den längerfristigen Effekten dieser pädagogischen Aufbrüche fragen.

Fr., 12.12.14, 19 Uhr: „Wer versteht, kann (manchmal) zaubern“ (Hans-Georg Trescher) – Zum Verhältnis von Psychoanalytischer Pädagogik und Antiautoritärer Erziehung. Vortrag von Dr. Manfred Gerspach und Dr. Thilo Maria Naumann (Professoren am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt).

Die antiautoritäre Erziehung war beileibe keine Massenbewegung, sondern konzeptionell wie praktisch betrachtet vor allem bestimmten akademischen Zirkeln vorbehalten. Sie speiste sich aus verschiedenen gesellschaftskritischen und disziplinären Quellen, wie den Schriften der sogenannten Freudomarxisten, zum Beispiel von Wilhelm Reich und Siegfried Bernfeld. Während sie sich vor allem in Berlin als Teil einer proletarischen Bewegung verstand, gab es in Frankfurt eine Annäherung an Kritische Theorie und Psychoanalyse, nicht zuletzt begünstigt durch die räumliche Nähe zum Institut für Sozialforschung und dem Sigmund-Freud-Institut und deren Protagonisten, unter anderem Theodor Adorno, Max Horkheimer und Alfred Lorenzer. Hier versuchte man, die sozialisationstheoretisch ausformulierte Bedeutung einer möglichst repressionsfreien kindlichen Entwicklung unmittelbar in eine Praxis einmünden zu lassen, die sich dem Verstehen unbewusster Interaktionsarrangements verschrieb. Über die Verortung der Subjektgenese in gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen gingen Psychoanalytische Pädagogik und Antiautoritäre Erziehung eine fruchtbare Allianz ein.
Es darf natürlich nicht verleugnet werden, dass Teile der sogenannten 68er-Bewegung der Psychoanalyse feindlich gegenüberstanden – das Eigene zu thematisieren machte Angst und wurde zum kleinbürgerlichen Habitus erklärt – beziehungsweise aus Enttäuschung, dass sich psychoanalytisches Wissen und Verstehen nicht unmittelbar in revolutionäres Handeln umsetzen ließen, wieder auf Distanz zu ihr gingen. Dennoch war in Frankfurt eine starke selbstreflexiv gewirkte antiautoritäre Ausrichtung entstanden, die sich Anleihen aus der Psychoanalyse als einem Paradigma gesellschaftskritischer Theorie des Subjekts bediente.
Mittlerweile hat das erweiterte Wissen aus Psychoanalyse, frühkindlicher Entwicklung und Pädagogik diese Position auszubauen und zu festigen geholfen. Wir werden versuchen, einen Bogen von damals bis heute zu schlagen, um diesen Prozess auszuleuchten und für eine pädagogische Praxis erneut fruchtbar zu machen.

Fr., 16.01.15, 19 Uhr: „Die Erziehung ist konservativ.“ (Siegfried Bernfeld) – Gewalt und Widerständigkeit. Zur Kritik alter und neuer Erziehungsziele. Vortrag von Dr. Marcus Balzereit (Lehrbeauftragter im Studiengang Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Darmstadt).

„Den Kindern muss der böse Eigenwille gebrochen werden“ so August Francke im Jahr 1704. 1835 formulierte Johann Wichern etwas freundlicher, dass es das Ziel der Pädagogik sein müsse, den einzelnen Zögling schließlich dahin zu führen, “daß er das Geschäft des Erziehers für sich selbst übernehmen kann und will“. Sein fortschrittliches pädagogisches Credo lautete also nunmehr „Selbstdisziplinierung vor Schlägen“. Erziehung blieb aber auch für Wichern zuallererst ein Gewaltverhältnis zum Zwecke der Einpassung der nachwachsenden Generation in die herrschenden und als gut betrachteten Verhältnisse. 1987 schreibt Klaus Mollenhauer, als Mitbegründer einer kritischen Erziehungswissenschaft, nunmehr, „dass pädagogisches Handeln ohne eine Sollensstruktur gar nicht denkbar ist. So reduziert sich die Frage nach der Form des Bildungsprozesses auf das Postulat: Der Bildungsprozess muss so gedacht werden und gestaltet werden, damit der Educandus im pädagogischen Dialog sich nicht den normativen Erwartungen fügt, sondern in die Lage versetzt wird, den Anspruch der Selbstbestimmung zu realisieren“.
Es sind gewöhnlich die beiden ersten Akteure, die einem bei dem Stichwort „erzieherische Gewalt“, in den Sinn kommen können. Solche Beispiele der direkten Unterwerfung des kindlichen Willens unter die erzieherische Gewalt verschleiern jedoch die Tatsache, dass fortschrittliche Formen der indirekten, dialogischen und selbstorganisierten Unterwerfung des kindlichen Willen unter das Verlangte in den letzten Jahrzehnten eher eine Steigerung der Gewaltförmigkeit nach sich gezogen hat. Wenngleich sich also die Methoden und offiziellen Verlautbarungen stark verändert haben, soll im Vortrag aufgezeigt werden, dass der herrschende zentrale erzieherische Zweck doch stets derselbe blieb. Im Anschluss möchte ich mich gerne unter anderem über den für Freie Schulen wichtigen Begriff der „Selbstregulation“ austauschen. Wie widerständig sind die damit verbundenen Praxen und vermittelten Inhalte auf Seiten der Pädagog_innen und Schüler_innen? Wie weit kann sich eine auf „Selbstregulation“ abzielende staatlich genehmigte Ersatzschule der auch von ihr abverlangten Durchsetzung erzieherischer Gewalt entziehen?

Fr., 06.02.15, 19 Uhr: „…ohne Angst verschieden sein…“ (Theodor W. Adorno) – Inklusion und Reformpädagogik im Spannungsfeld von egalitärer Differenz und meritokratischem Prinzip. Vortrag von Dr. Dieter Katzenbach (Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Frankfurt).

Die Individualität der Kinder zu achten, ihnen in ihrer Einzigartigkeit und ihrem So-Sein, das sich aber auch jederzeit ändern kann und darf, wertschätzend zu begegnen, stellt ein Grundwert sowohl der Reformpädagogik als auch der inklusiven Pädagogik dar. Mit egalitärer Differenz wird in der Sozialphilosophie der Gedanke bezeichnet, Unterschiede zwischen den Kindern, oder zwischen Menschen allgemein, wahrzunehmen und anzuerkennen, aber diese Unterschiede nicht sogleich in die Maßstäbe des besser oder schlechter beziehungsweise in die Kategorien des normal oder abweichend einzuordnen.
Reformpädagogik und inklusive Pädagogik teilen diese Wertebasis, und sie fangen sich damit beide den Vorwurf einer gewissen Realitätsferne ein. Denn zweifellos leben wir in einer Gesellschaft, die Unterschiede zwischen Menschen macht; und zwar Unterschiede, die eben nicht bloß als anders, sondern durchaus als besser und schlechter zu bewerten sind. Schließlich werden knappe Güter wie Geld, Macht, berufliche Positionen etc. nicht gleich verteilt. Hier soll das meritokratische Prinzip zur Geltung kommen, nämlich eine Bestenauswahl stattfinden, die gerade in Deutschland durch ein immer noch hochgradig selektives und segregierendes Bildungssystem betrieben wird und sich aktuell durch eine zunehmende Pathologisierung abweichenden Verhaltens auszeichnet. Ob das tatsächlich so einfach funktioniert, sei einmal dahin gestellt, aber zweifellos stellt das meritokratische Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft einen Fortschritt gegenüber dem Feudalstaat dar, in dem die soziale Stellung sich aus der Geburt in den jeweiligen Stand ergab.
Pädagogik jedweder Couleur steht nun vor der Aufgabe, zwischen diesen beiden Prinzipen – egalitäre Differenz und meritokratischen Prinzip – zu vermitteln; auflösen lässt sich das Spannungsverhältnis, zumindest in dieser Gesellschaft, jedenfalls nicht. Es lassen sich aber mehr oder weniger kluge Umgangsweisen damit finden, und meine These ist, dass sich hierbei Reformpädagogik und inklusive Pädagogik trefflich ergänzen könnten.

Fr., 06.03.15, 19 Uhr: „Frei erzogene Menschen werden es nicht mehr nötig haben, den von ihnen erzeugten Reichtum zu zerstören statt ihn zu genießen.“ (Monika Seifert) – Freiheit und Selbstbestimmung. Zur Aktualität Freier Alternativschulen. Podiumsdiskussion mit Dirk Eiermann (Lehrer an der Freien Schule Frankfurt), Renate Stubenrauch (ehemalige Lehrerin an der Freien Schule Frankfurt) und Dr. Jutta Wiesemann (Professorin am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Siegen).
Vor 40 Jahren wurde um die besondere pädagogische Prägung der Freien Schule Frankfurt hart gekämpft. Heute gibt es fast 100 Freie Alternativschulen. Das Podium wird sich der schulischen Entwicklungen der letzten 40 Jahre widmen, die gegenwärtige Bedeutung Freier Alternativschulen erörtern und versuchen ein Resümee aus der Ringvorlesung zu ziehen.

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